Der grosse Vorteil, als Forscher an einer öffentlichen Universität tätig zu sein, ist das Privileg der Freiheit von Forschung und Lehre. Diese Freiheit ermöglich uns, Ideen zu entwickeln und umzusetzen, die unter Umständen die Grenzen unseres Forschungsfelds passieren und neue Territorien erschliessen. Als Grundlagenforscher, der sich für die neurale Basis der Sprache-Gehirn Beziehung interessiert, ist es sicher nicht die nächstliegende Idee, sich der Frage zu widmen, ob man als älterer Mensch vom Zusammenleben mit einem Hund profitiert. Aber genau das habe ich gemacht. Wie kam es dazu?
Wer die Evolution von Sprache untersucht, kommt auch automatisch mit dem Thema der Tierkommunikation zu tun. Tiere sprechen nicht. Sie kommunizieren miteinander und untereinander, zum Teil über die Grenzen ihrer Spezies hinweg. Kein Tier aber hat die Kommunikation mit der menschlichen Spezies so weit entwickelt wie der Hund (canis familiaris). Viele Menschen, die ihr Leben mit einem Hund teilen, berichten von erstaunlichen kognitiven, sozialen und kommunikativen Fähigkeiten ihrer vierpfotigen Kaltnasen. Es spielt dabei kaum eine gravierende Rolle, ob dieser Austausch durch Blicke, Körperwendungen, akustische Signale und andere Verhaltensweisen realisiert und angewandt wird. Es gibt keinen Zweifel. Es funktioniert. Mein Hund versteht mich und ich verstehe meinen Hund (auch wenn wir beide manchmal vorgeben, den anderen nicht zu verstehen, um Interessenkonflikten vorzubeugen).
Auf vielen langen Spaziergängen mit Rumo (Labrador-Retriever Rüde, Jahrgang 2011) habe ich unzählige Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen gehabt. Daraus sind langlebige Bekannt- und Freundschaften geworden.
Besonders berührt haben mich Begegnungen mit älteren Menschen (in oder ohne Begleiter eines Hundes), die in der Natur spazierengingen und das Aufeinandertreffen mit meinem Hund und mir für eine kurze (oder auch längere) Unterhaltung nutzten. Oftmals glichen sich die Geschichten, die ich zu hören bekam. Zum einen erzählten diese älteren Menschen davon, wieviel Lebensqualität sie dem Zusammenleben mit ihrem Hund verdanken. Ein Hund gibt ihnen eine Tagesstruktur, eine Aufgabe, zwingt sie zu Bewegung und Aktivität und ist eine stetige Quelle von Liebe und Freude. Manchmal war der Hund auch zur Stelle, um nach dem Verlust des Lebenspartners den Weg in den neuen Lebensabschnitt als Hinterbliebene(r) zu erleichtern. Zum anderen trafen wir oft auf ältere, alleinstehende Personen, die von ihrem grossen Wunsch erzählten, einen Hund bei sich aufzunehmen. Doch für diese Menschen türmten sich (scheinbar) unüberwindbare Hürden und Fragen auf. Darf ich einen Hund in meiner Wohnung halten? Kann ich mir die Ausgaben für Futter, Pflege und Tierarztkosten leisten? Wo kann ich den Hund unterbringen, wenn ich einmal verreise oder sogar ins Spital muss? Wo und wie bekomme ich einen Hund, der zu mir passt? Gibt es Hundeschulen und -kurse, die auch für die speziellen Bedürfnisse von Seniorinnen und Senioren ausgelegt sind? Wer versorgt den Hund, wenn ich krank bin oder sogar sterbe? Kann ich damit umgehen, wenn das Tier dann vor alt wird und stirbt?
Diese Erlebnisse brachten mich dazu, über ein Projekt nachzudenken, dass sich diesem komplexen Thema systematisch annehmen sollte. Das war die Geburtsstunde von BELOVED, das ich zusammen mit vielen Helfer:innen über den Zeitraum von einigen Jahren (sogar während der Corona-Pandemie) durchführen könnte. Wir hoffen, dass dieses Projekt nicht nur eine Vorgeschichte, sondern auch eine Zukunft hat und möglichst viele Senior:innen auch künftig von den Resultaten und den daraus entstandenen Ergebnissen profitieren.